Der aktuelle Haushaltsentwurf des Landes Sachsen sieht eine fast vollständige Streichung der Fördermittel im Bereich „Psychiatrie und Suchthilfe“ vor.
Damit wird die Zukunft der sachsenweit etablierten Zuverdienstprojekte für psychisch erkrankte Menschen akut gefährdet. Diese Kürzungen ignorieren die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen.
Seit mehr als 30 Jahren setzt sich der Durchblick für Hilfe zur Selbsthilfe und Partizipation von Psychiatriebetroffenen ein. Verschiedenste Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten sind seit der Vereinsgründung ein integraler Bestandteil des Vereins um Krisen der Menschen im Vereinsumfeld vorzubeugen. Der Durchblick war der erste Träger, der Zuverdienstmöglichkeiten in den neuen Bundesländern etablierte.
Wir sind ein freier Träger der komplementären psychiatrischen Versorgung und unterhalten, neben einer psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle, dem Ambulant Betreuten Wohnen, Krisennotwohnen, Fort- und Weiterbildungsangeboten für u.a. Ärzte, Sozialarbeiter, Pflegefach- und Polizeischüler, und dem einzigen sächsischen Psychiatriemuseum, ein langjährig etabliertes Zuverdienstprojekt (ZP) für chronisch psychisch kranke Menschen.
Das ZP ermöglicht dem Verein, neben der Stabilisierung von krisenerfahrenen Menschen aus dem Vereinsumfeld, die Bereitstellung einer gesunden preiswerten Mittagsversorgung für täglich ca. 35 bedürftige Nutzer. Gleichzeitig kann die Begegnungsstätte des Durchblicks durch das ZP verlängerte Öffnungszeiten (9.00 – 22.00 Uhr) anbieten, ergänzende Angebote vorhalten und Bedürftige bei haushaltsnahen Dienstleistungen unterstützen u.v.m. Das würde in Zukunft wegbrechen.
Das Projekt bietet für Psychiatriebetroffene eine gute und adäquate Möglichkeit im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und letztlich des Sächsischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (SächsPsychKHG) partizipativ in einem geschützten Rahmen mit den jeweilig zur Verfügung stehenden Ressourcen und Mitteln empowernde Tagesstruktur zu erhalten und sich trotz mitunter schwerer Krisenerfahrungen werterzeugend in die Arbeitswelt einzubringen bzw. an dieser teilzuhaben. Regelmäßig schaffen es Mitarbeitende des ZP, die aufgrund ihrer Krisenerfahrungen und der Rückfallgefahr als nicht vermittelbar galten, sich durch dieses zu stärken, um wieder einer Beschäftigung auf dem‚ ersten Arbeitsmarkt‘ nachgehen zu können.
So hat das ZP des Durchblicks in den letzten Jahren viele Menschen aus dem Projekt wieder in Anstellungen auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt.
Es ist erschreckend, dass im Haushaltsentwurf 2025/2026 für 2026 nunmehr keine Mittel für Förderungen über die FRL Psychiatrie und Suchthilfe enthalten sind. Diese Förderrichtlinie stellt die Grundlage für Förderungen des Bereiches Beschäftigung und Teilhabe von psychisch kranken oder suchtkranken Menschen am Arbeitsleben dar.
Eine Weiterförderung der Zuverdienstprojekte ist somit sehr fraglich.
Sachsen war lange Zeit ein bundesweites Vorzeigemodell im Bereich des Zuverdienstes.
Angebote des sächsischen Zuverdienstes für Menschen mit psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen und/ oder seelischen Behinderungen und die im Freistaat erstmalig mit dem 01.01.2007 eingeführten Kriterien einer anteiligen Förderung galten in Deutschland als innovativ und zukunftsfähig.
Es gab erst zum 03.07.2023 eine Richtlinienänderung mit der Anpassung der Förderung für eine stabilere Finanzierungsbasis. Das war ein wichtiger zukunftsweisender Schritt für die Träger, die weiterhin Beschäftigung und Teilhabe anbieten.
Nun droht der Verlust an innovativen Potenzialen und Ressourcen im Freistaat, die vor allem im Rahmen der notwendigen Umsetzung der UN-Behindertenrechts-konvention in Sachsen dringend benötigt werden. Damit verbunden unmissverständliche Nachfragen zur Ernsthaftigkeit der Umsetzung nachhaltiger ambulanter Strukturen der Sozialpsychiatrie und damit der einhergehende Imageverlust des Freistaates.
Dies alles passiert vor dem Hintergrund, dass das Thema Psychische Gesundheit zunehmend Raum einnimmt, nicht nur im Alltag Psychiatriebetroffener, sondern insbesondere in der Arbeitswelt. Psychische Stabilität ist Voraussetzung für Leistungsfähigkeit, die Lebensqualität des Einzelnen und für (soziale) Teilhabe. Dennoch gerät die Psyche der Menschen immer mehr in Ungleichgewicht, wodurch die psychische aber auch körperliche Gesundheit beeinträchtigt wird. Dies zieht weitreichende individuelle und gesellschaftliche Folgen nach sich. „In Deutschland sind jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht rund 17,8 Millionen betroffenen Personen […].“[1] „Jede*r fünfte Minderjährige* ist psychisch belastet und jede*r vierte Erwachsene* von einer psychischen Erkrankung betroffen.“[2] Menschen mit psychiatrischen Krisenerfahrungen stehen, obwohl es statistisch fast ein Viertel aller Menschen betrifft, oft schon am Rand der Gesellschaft. Daher würde eine Verabschiedung des aktuellen Entwurfes unser langjähriges erfolgreiches Zuverdienstprojekt existentiell gefährden und vielen von einer schweren psychischen Erkrankung betroffenen Menschen eine weitere Perspektive auf eine konkrete etablierte Teilhabemöglichkeit nehmen.
Wie lässt sich das in der Sächsisches Verfassung formulierte Staatsziel der Hinwirkung auf gleichberechtige Lebensbedingungen und das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Recht auf gesellschaftliche Teilhabe mit der geplanten Streichung der Mittel für den Zuverdienst in Einklang bringen, der insbesondere für Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung eine niedrigschwellige, wirksame Möglichkeit der Teilhabe und Reintegration darstellt?
Die Hinwirkung auf gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen ist in der Sächsisches Verfassung als Staatsziel benannt.
Dazu gehört die Förderung ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und zur Begleitung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Zur gesellschaftlichen Teilhabe dient die Schaffung von Chancen und Möglichkeiten der Arbeit und Beschäftigung, insbesondere für Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung ist der Zuverdienst ein wirksames Hilfeangebot der gesellschaftlichen Teilhabe, weil der Zuverdienst niedrigschwellig die Möglichkeit der Reintegration schafft, für den einzelnen Menschen sinnstiftend und für die Gesellschaft wertschöpfend ist, in nicht wenigen Fällen gelingt der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt .
Als Psychiatriebetroffenenverein haben wir seit mehr als 30 Jahren Erfahrungen mit dem Zuverdienst und konnten dabei mit der Unterstützung des Freistaates Sachsen, der als erstes Land in den NBL dieses innovative Modell gefördert hat, etablierte Strukturen aufbauen.
Durch die Kürzung bzw. Streichung der Mittel werden wirksame Strukturen der Schaffung und Begleitung von Zuverdienstangeboten zerschlagen und die gesellschaftliche Teilhabe der besonders vulnerablen Gruppe schwer psychisch erkrankter Menschen verhindert; es droht der Verlust an innovativen Potenzialen und Ressourcen im Freistaat, die vor allem im Rahmen der notwendigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen dringend benötigt werden.
Es sind in Sachsen über 200 Zuverdienstarbeitsplätze in Gefahr.
Wir brauchen jede Unterstützung um das Projekt zu retten!
Christina Stoppa (Geschäftsführerin),
Christian Zschernitz (Koordination Zuverdienstprojekt)
[1] DGPPN (2024): Basisdaten psychische Erkrankungen. S.1
Basisdaten psychische Erkrankungen. S.1
[2] Bundespsychotherapeutenkammer (2025): Psychische Gesundheit stärken. Politik für Menschen mit psychischen Erkrankungen 2025 bis 2029. Forderungen für die 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. S.2
Politik für Menschen mit psychischen Erkrankungen 2025-2029
08. 04. 2025