Am 15. Oktober 2024 berichtete die Leipziger Volkszeitung (LVZ)[1] über ein Vorkommnis: Eine 56jährige Frau, für die eine Zwangseinweisung geplant gewesen sei, habe ihre Wohnungstür nicht geöffnet. Die daraufhin von dem Betreuer und einem Psychologen hinzugerufenen Polizeibeamten wären über den Balkon in die Wohnung gelangt und seien von der Frau mit einem Messer bedroht worden, woraufhin die Beamten die Frau mit fünf Schüssen verletzt hätten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in beide Richtungen.
Leider kommen solche tragischen Ereignisse immer wieder vor. Am Osterwochenende 2024 wurde der 46jährigen Gambier Lamin Toury in Nienburg von Polizistinnen und Polizisten erschossen. Aus diesem Anlass führte die taz am 9. April 2024 ein Interview mit Thomas Feltes, Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft[2][3]. Nach seiner Schätzung waren zwei Drittel der Polizeitoten in einer psychischen Krise. Diese Zahlen scheint eine Auswertung von Polizeiberichten der Nachrichtenagentur dpa zu bestätigen, nach der seit Januar 2024 17 Menschen bei Schusswaffengebrauch durch die Polizei gestorben sind. In der Mehrheit der Fälle seien die tödlichen Schüsse in Situationen gefallen, in denen die Beamten auf Männer oder Frauen trafen, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befanden oder wegen psychischer Erkrankungen bereits in Behandlung waren.[4] Lt. Kriminologen Feltes seien solche Abläufe fast immer ein Ergebnis fehlerhaften polizeilichen Handels. Wenn Rettungssanitäter oder Notärzte zuerst bei dem Betroffenen sind, eskalierten die Einsätze deutlich seltener.
Als einen Grund benennt Feltes, dass die Ausbildung der meisten Beamten lange zurückliege und das Thema Psychologie nur kurz und eher am Rande behandelt wurde. Das habe sich zwar mittlerweile geändert, aber es fehle an praktischen Übungen.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kam der Polizeiwissenschaftler Martin Thüne in einem taz-Interview 2022 [5]. Auch Thüne, der seinerzeit in Thüringen zum Umgang der Polizei mit psychisch Kranken forschte, beklagte, dass dies in der Aus- und Fortbildung nur eine geringe Rolle spiele. Einsätze mit psychisch Kranken, so Thüne, würden von Polizist:innen als belastend und schwierig empfunden, weil diese Einsätze häufig länger dauern, kompliziert sind und weil sei gefährlich sein können.
Umso wichtiger ist es, dass der Durchblick seit 2022 in Kooperation mit der Polizeischule Leipzig ein Angebot macht, bei dem Polizeischülerinnen und Polizeischüler im Rahmen des Ethikunterrichts unser Haus besuchen. Nach einem Überblick zu psychische Erkrankungen und den Versorgungsstrukturen in der Stadt Leipzig stehen Gesprächsrunden mit Psychiatriebetroffenen im Mittelpunkt. Wir machen die Erfahrung, dass diese individuellen Begegnungen dazu beitragen, für dieses Thema zu sensibilisieren und das gegenseitige Verständnis fördern kann. Auch äußerten die Teilnehmenden den Wunsch, dass es nicht nur während der Ausbildung, sondern auch im Laufe des Polizeidienstes solche Angebote geben sollte.
T.M.
[1] Frank Döring: Fünf Schüsse auf Leipzigerin: Feuerten die Polizisten in Notwehr?, LVZ, 15.10.2024, S. 18
[2] taz.de/Kriminologe-ueber-Polizeischuesse/!6000538/ (letzter Zugriff, 29.11.2024)
[3] Ein halbes Jahr nach den tödlichen Schüssen wurden die Ermittlungen gegen 14 Polizistinnen und Polizisten eingestellt, da die Einsatzkräfte in Lebensgefahr gewesen seien und die Waffen als letztes Mittel eingesetzt hätten. taz.de/Nach-toedlichen-Schuessen-auf-Lamin-Touray/!6036804/ (letzter Zugriff, 29.11.2024)
[4] spiegel.de/panorama/justiz/deutschland-polizisten-gaben-2024-deutlich-mehr-toedliche-schuesse-ab-a-3aa2340c-5a6e-4922-94e5-576d18d5135e/ (letzter Zugriff, 29.11.2024)
[5] taz.de/Polizeiexperte über Umgang mit psychisch Kranken (letzter Zugriff, 29.11.2024)
16. 01. 20252