Werkstattgespräch Gemeindepsychiatrie Leipzig – Beschwerdestellen in der Psychiatrie für Leipzig?
7. Februar 2024, 17:00 Uhr bis 19.45 Uhr, CAPA-Haus, Jahnallee 61, 04177 Leipzig

Capa-Haus-Eingangsbereich

Der Eingangsbereich des Capa Hauses in Leipzig


Das 4. Werkstattgespräch Gemeindepsychiatrie Leipzig zum Thema »Beschwerdestellen in der Psychiatrie für Leipzig?« fand am 7. Februar 2024 im CAPA-Haus statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Gesundheitsamt der Stadt Leipzig, dem Verbund Gemeindenahe Psychiatrie und der Sächsischen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (SGSP). An der inhaltlichen Gestaltung dieses Werkstattgesprächs wirkte der Verein Durchblick e.V. mit.

Die Veranstaltung fand in den Räumen der CAPA Culture gGmbH statt, die in den Erdgeschoss-Räumen des Hauses den »Erinnerungsort CAPA-Haus« als Gemeinschaftsprojekt des Verlags Hentrich & Hentrich, der Initiative Capa-Haus und des Stadtgeschichtliches Museum Leipzig betreibt.
Ein Mitarbeiter des Verlags referierte zunächst über die Geschichte des Hauses, wo der US-amerikanische Kriegsfotograf Robert Capa im April 1945 seine weltweit bekannte Fotoserie »Last Man to Die« schuf, in der der Tod des Soldaten Raymond J. Bowman am 18. April 1945 dokumentiert wird.

Zum Werkstattgespräch begrüßten Dr. Dyrk Zedlick (Verbund Gemeindenahe Psychiatrie) und Thomas Seyde (Gesundheitsamt/ Psychiatriekoordinator) die ca. 50 Teilnehmenden.
Thomas R. Müller (Durchblick e.V.) führte in das Thema ein. Auf der Basis einer Forschungsarbeit von Jozina Janse und Informationen des BundesNetzwerk unabhängiger Beschwerdestellen Psychiatrie und der Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie Berlin (bip) gab Müller einer Überblick zu den Strukturen und der Arbeitsweise der ca. 100 unabhängigen Beschwerdestellen in Deutschland.
Im Hinblick auf die Beschwerdegründe wies Müller darauf hin, dass es neben den stationären Einrichtungen und der Arbeit von gesetzlichen Betreuern auch häufig zu Beschwerden in Betreuten Wohnformen kommt (wie aus dem BIP-Jahresbericht 2022 hervorgeht). Daher müsse sich auch die Gemeindepsychiatrie beim Thema Beschwerden angesprochen fühlen.

Als erster Experte sprach Herrmann Stemmler (NetzG e.V.) über den Aufbau der Beschwerdestellen im Oberbayern.
Auf der Basis des neu gefassten PsychKHG habe sich eine Diskussion zur Implementierung von Unabhängigen psychiatrischen Beschwerdestellen (UpB) in Bayern nach dem Vorbild von Oberbayern entwickelt. Die Diskussion wurde vom bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in enger Zusammenarbeit mit den Selbsthilfevereinen der Betroffenen, der Angehörigen und der professionellen Leistungserbringer trialogisch geführt. Das Ergebnis dieses Prozesses war die Veröffentlichung eines Bayerischen Ministerialblatts (BayMBl. 2021 Nr.68 am 27. Januar 2021) und
die Richtlinie für die Gewährung von Förderungen zur Errichtung, Aufrechterhaltung und zum Betrieb unabhängiger psychiatrischer Beschwerdestellen (UpB-Förderrichtlinie – UpB-FöR). In Bayern erhielten die inzwischen 12 Unabhängigen Beschwerdestellen (UpB) eine Anschubfinanzierung in Höhe von 2000 EUR und werden mit jährlich 10.000 EUR gefördert. Die Mitarbeit an der UpB ist grundsätzlich ehrenamtlich.

Wichtig war Hermann Stemmler der Hinweis auf die verbindliche Qualifizierung für die Mitarbeitenden in den UpB. In drei Modulen mit je 16 Unterrichtseinheiten a‘ 45 Minuten werden folgende Themen bearbeitet:
Kursteil 1: Kommunikation, Gesprächsführung, Beratung, sowie Förderung einer UpB durch den Freistaat Bayern.
Kursteil 2: Rechtliche Rahmenbedingungen
Kursteil 3: Überblick über psychische Störungen, psychosoziale Versorgungsstrukturen, regionale und überregionale Netzwerke. Die Qualifizierung wird vom Bayrischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege finanziert. Alle Mitarbeitenden der UpB müssen sich im Zeitraum von drei Jahren qualifizieren.
Für unabhängige Beschwerdestellen formuliert Stemmler acht Leitlinien: (1) gleiche Augenhöhe, (2) Datenschutz und Schweigepflicht, (3) Unabhängigkeit, (4) Vernetzung und Kooperationen, (5) Regionalisierung und Gemeindenähe, (6) Niedrigschwelligkeit, (7) trialogisch-professionell, (8) Standards zur Struktur- und Prozessqualität.
Der zweite Experte, Andreas Jung (Marburg), hatte die Anfrage, in Marburg eine Beschwerdestelle aufzubauen. Jung schilderte, wie er sich kompetente Mitstreiter gesucht hat. Um eine möglichst große Unabhängigkeit zu gewährleisten, empfahl Jung, unter den „Profis“ z.B. pensionierte Ärztinnen und Ärzte für eine Tätigkeit in Beschwerdestellen zu gewinnen. In Marburg verfügt die Beschwerdestelle über ein trialogisches Team. Wenn eine Beschwerde kommt, würde im Team entschieden, welches Tandem die Beschwerde bearbeitet. Dabei übernehme die Beschwerdestelle dann das Mandat und arbeite zielorientiert. Ein wichtiges Mittel sei die Mediation. Es sei aus seiner Sicht normal, wenn Beschwerden auftauchen, d.h., wenn aus einer Institution längere Zeit keine Beschwerden kommen, dann stimme dort etwas nicht! Beschwerdemanagement sei ein Bestandteil der Qualitätssicherung.

In der sich anschließenden Diskussion wurde zunächst darauf verwiesen, dass es schon längere Zeit Initiativen zur Einrichtung einer Beschwerdestelle in Leipzig gibt. Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Werkstattgespräches wurde dann deutlich, dass es im Rahmen der gerade laufenden Novellierung des Sächsischen PsychischKrankenhilfegesetzes noch Möglichkeiten gibt, auf den Gesetzestext Einfluss zu nehmen. Im aktuellen Entwurf, der die Regierung passiert hat, wurden Beschwerdestellen als Kann-Bestimmung aufgenommen. (§ 10 Psychosoziale Dienste und Angebote) Das bedeutet, dass es momentan keine Verpflichtung zum Aufbau von Beschwerdestellen gibt. Noch gebe es jedoch die Möglichkeit, sich in die Landtagsdebatte einzubringen und eventuell zu erreichen, dass die Beschwerdestellen eine Soll-Bestimmung erhalten. Hermann Stemmler empfahl, sich dafür politische Verbündete zu suchen, d.h. auf Landtagsabgeordnete zuzugehen und sie für das Thema zu sensibilisieren. Andreas Jung sah auch die gemeindepsychiatrischen Träger in der Verantwortung, sich für eine Etablierung von Beschwerdestellen stark zu machen.

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde angekündigt, dass sich eine Gruppe bilden wird, die sich weiter mit dem Thema des Aufbaus einer Beschwerdestelle in Leipzig befasst und auch auf der politischen Ebene agieren will. Das Gesundheitsamt hat dafür seine logistische Unterstützung zugesagt (z.B. Räumlichkeiten für Treffen der Gruppe).

Das 4. Werkstattgespräch zeigte, dass das Thema Beschwerdestellen für Psychiatrieerfahrenen, aber auch für die Mitarbeitenden gemeindepsychiatrischer Träger von großem Interesse ist, und es eine Bereitschaft gibt, sich für eine Beschwerdestelle in Leipzig zu engagieren. Dafür, so machten die Erfahrungen aus Oberbayern und Hessen deutlich, braucht es Personen, die das Thema voranbringen und dabei als Netzwerker für eine breite Unterstützung werben, damit eine zukünftige unabhängige und trialogisch besetzte Beschwerdestelle etabliert und erfolgreich im Interesse des gesamten Gemeindepsychiatrie arbeiten kann.

Thomas R. Müller (Durchblick e.V.)